Entstehung

Ein Trauma kann sowohl durch Gewalterfahrungen als auch durch einen Unfall, eine Operation, einen Spitalsaufenthalt, den plötzlichen Verlust eines Angehörigen, oder durch Vernachlässigung im Kleinkindalter ausgelöst werden.

Wesentlich für die Entstehung eines Traumas ist, so der Trauma-Experte und Psychotherapeut Peter A. Levine, zunächst das mit Angst verbundene, körperliche Gefühl der Ausweglosigkeit:

Wenn wir akut bedroht sind, mobilisieren wir gewaltige Energien, um uns zu schützen und zu verteidigen. Wir ducken uns, weichen aus, wenden uns ab, versteifen uns und ziehen uns zusammen. Unsere Muskeln spannen sich, damit wir kämpfen oder flüchten können. Sind diese Aktivitäten jedoch wirkungslos, erstarren wir, oder brechen zusammen.”1

Blockierte Überlebenstriebe

Äußere Gewalteinwirkung oder physische Hindernisse können die instinktiven Flucht- oder Abwehrreaktionen des Körpers hemmen. Aber auch ein starker innerer Konflikt zwischen einander widersprechenden Trieben kann eine Hemmung auslösen. Im Krieg, oder bei Naturkatastrophen kann etwa der instinktive Impuls zur Selbsterhaltung oft mit dem Impuls kollidieren, andere zu retten.

Darüber hinaus kann der motorische Ausdruck zweier entgegengesetzter instinktiver Reaktionen zu einem Konflikt zwischen Agonist und Antagonist und damit zur Bewegungsunfähigkeit führen. Gewöhnlich entspannt sich der Antagonist während der Agonist kontrahiert. Durch einen traumatischen Konflikt werden jedoch unter Umständen beide Muskel kontrahiert und blockieren einander. Dies kann zu vorübergehenden Immobilitätszuständen, oder sogar zu länger anhaltenden psychosomatische Lähmungen führen.

Psychische Erstarrung

Die zunächst physiologische Erstarrung verschiebt sich nach dem traumatischen Erlebnis oft auf die psychische Ebene. Denn das psychische System versucht, die intensiven Gefühle der Ausweglosigkeit und Panik um jeden Preis zu vermeiden. Durch diese Vermeidung der Konfrontation mit den eigenen negativen wie auch positiven Gefühlen und Emotionen fühlt sich der Traumatisierte letztlich in seiner psychischen Erstarrung eingeschlossen. Auf diese Weise entstehen die typischen emotionalen Symptome eines Traumas: Hilflosigkeit, Angst, Verschlossenheit, Depression, Entsetzen, Wut und Hoffnungslosigkeit.

In der Falle

Wir können die Angst, die der Immobilität zugrunde liegt, grob betrachtet in zwei Ängste unterteilen: die Angst, sich in die Immobilität hineinzubegeben, die gleichbedeutend ist mit der Angst vor Gelähmtheit, In-der-Falle-sitzen, Hilflosigkeit und Tod; und die Angst, aus der Immobilität hervorzukommen und damit vor der intensiven Energie der auf Wut basierenden Empfindungen. Aufgrund dieser doppelten Umklammerung […] blockiert die Immobilität ihre eigene Auflösung, sodass dieser Zustand scheinbar nicht zu durchbrechen ist.”2

Gelingt es jedoch der Therapeutin, Angst und Immobilität zu entkoppeln, kann die Zeit für den Traumatisierten wieder voranschreiten. Die Feedbackschleife von Entsetzen und Gelähmtheit kann unterbrochen werden.

Niemals endender Schrecken

Das Wissen, dass alles was passiert endlich ist, und somit früher oder später enden wird, macht die meisten Erlebnisse erträglich. Das Gegenteil trifft ebenfalls zu – wir empfinden Situationen als unerträglich, wenn wir annehmen, dass sie niemals enden werden […]. Ein Trauma ist die schlimmste Art zu erleben, dass etwas ‘nie enden’ wird.”3

Eine Traumatisierung kann sich in Schlafstörungen äußern, aber auch in Panikattacken, Konzentrationsschwäche, depressiven Verstimmungen, Erschöpfungszuständen, in sozialem Rückzug, sowie in körperlichen Symptomen. Komplexe Traumata in der frühen Kindheit können darüber hinaus zu Persönlichkeitsstörungen wie Borderline führen. Posttraumatische Störungen wurden und werden deshalb oft wie psychische Krankheiten mit Psychopharmaka behandelt. So müssen die Symptome nicht genauer hinterfragt werden. Eine Trauma-Therapie kann hingegen die Symptome mit der Geschichte der Patienten in Zusammenhang bringen. Auf diese Weise kann unter Umständen der dahinterliegende Konflikt aufgelöst werden.

Abfertigung

Der zunehmende Einsatz [von Psychopharmaka] wird der realen Situation nicht gerecht. [Offen bleiben dabei die Fragen:] Womit versuchen die betreffenden Patienten fertig zu werden? Welche inneren und äußeren Ressourcen stehen ihnen zur Verfügung? Wie beruhigen sie sich? Haben sie eine fürsorgliche Beziehung zu ihrem eigenen Körper? Und was tun sie, um ihr körperliches Empfinden von Macht, Vitalität und Entspannung zu fördern? Sind sie zu dynamischen Interaktionen mit anderen Menschen in der Lage? Wer kennt und liebt sie wirklich und kümmert sich um sie? […] Haben sie das Gefühl, dass ihr Leben einen Sinn hat? Was können sie besonders gut? Wie können wir ihnen helfen, das Gefühl zu entwickeln, selbst über ihre Lage zu bestimmen?4

Die Traumatisierung ist jedoch keine Krankheit, vielmehr ist es eine menschliche Erfahrung, die in Überlebensinstinkten wurzelt. Jeder Mensch kann ein Trauma entwickeln, auch wenn nicht jeder dieselbe Situation als traumatisch erfährt. Doch die psychische Erstarrung, die oft eine Reaktion auf eine Gewalteinwirkung ist, kann aufgelöst werden.

Körpergewahrsein

Da sich die Traumatisierung in psychischen, aber auch physischen Spannungen und in der Taubheit gegenüber den eigenen Gefühlen und Körperwahrnehmungen äußert, werden Massage und Yoga-Asanas in der Trauma-Therapie erfolgreich eingesetzt, um das Körper-Gewahrsein zu verbessern.

Im Yoga wird die Aufmerksamkeit auf die Atmung und auf das Empfinden von Augenblick zu Augenblick gerichtet. Man beginnt dabei, die Verbindung zwischen dem Emotionalen und dem eigenen Körper zu erkennen […] Man experimentiert damit, wie man das Empfinden verändern kann.”5

Nachträgliches Zittern

Somatic Experiencing‘, die von Peter Levine entwickelte Trauma-Therapie, beruht auf dem Prinzip der Katharsis – der somatischen Befreiung von blockierten Überlebensenergien. Diese somatische Katharsis äußert sich vor allem im Zittern und Beben des gesamten Körpers.

Dieses […] ‘Gezittere’, das Menschen unter verschiedenen Umständen erleben und das noch zahlreiche weitere Funktionen hat, kann Katalysator sein für authentische Transformation und Ehrfurcht. Auch wenn das ängstliche Zittern der Besorgnis nicht als solches die Wiederherstellung des Gleichgewichts garantiert, kann es, unter Anleitung und ‘richtig’ erlebt, seine eigene Auflösung in sich tragen.”6

Kathartische Körperbeben

Der Theorie der somatischen Katharsis zufolge, schüttelt das Nervensystem durch ein Zittern des Körpers die Spannungen ab, die durch einen Schock entstanden sind. Diese instinktive Reaktion des Körpers hilft uns folglich, nach Bedrohungen wieder unser Gleichgewicht herzustellen. Das Zittern des Körpers nach dem Moment des Schreckens kann uns deshalb, wenn es nicht unterbrochen wird, vor der Traumatisierung bewahren.

Somatic Experiencing’ beruht auf der Annahme, dass diese instinktive Wiederherstellung des Gleichgewichtes in manchen Situationen durch äußere Umstände unterbrochen wird. Durch diese Verhinderung der Katharsis kann die Situation im Nachhinein zum Trauma werden. Dies geschieht zum Beispiel dann, wenn ein Unfall-Opfer auf dem Weg ins Krankenhaus so fest an die Bahre gebunden wird, dass das kathartisches Zittern des Körpers nicht statt finden kann.

Minimale Bewegungen

Im ‘Somatic Experiencing‘ geht es deshalb um die therapeutische Katharsis der steckengebliebenen, instinktiven Reaktionen. Der erste Schritt ist dabei die genaue Beobachtung der Körperhaltung und der Bewegungen des Patienten.

Körperhaltung, Gesten und Gesichtsausdruck von Menschen erzählen die wortlose Geschichte dessen, was passierte oder nicht passierte, als sie bedroht oder überwältigt wurden. Typische Körperhaltungen, die Menschen sich angewöhnt haben, sagen uns, was wir zurückverfolgen, und auflösen müssen. Therapeuten [brauchen deshalb] ein präzises Gefühl dafür, welche zwingenden instinktiven Impulsen [der Traumatisierte] […] aufgrund einer bedrohlichen Situation nicht ausgeführt haben.7

Selbst noch die unscheinbarsten Bewegungen können Hinweise auf jene Situation liefern, in der die Energien ‘eingefroren’ wurden. Um eine Retraumatisierung zu vermeiden, lenkt der Therapeut die Aufmerksamkeit des Traumatisierten zuerst auf Bereiche, die ihm unproblematisch erscheinen. Er/Sie gibt dem Patienten auf diese Weise die Möglichkeit, im Körper ‘Inseln des Wohlgefühls‘ zu lokalisieren. Zu eben diesen unproblematischen Zonen kann der Patient beim Auftauchen von bedrohlich wirkenden Gefühlen immer wieder zurückkehren.

Pendeln

Dieses hin- und herwechseln zwischen der Verankerung in der Gegenwart des Körpers und dem Evozieren von minimalen Dosen der traumatischen Gefühle nennt Peter Levine ‘pendeln‘. Ist der Patient schließlich ausreichend im Hier und Jetzt des angenehmen Gefühls verankert, fordert der Therapeut ihn oder sie auf, bestimmte Bewegungen sehr langsam zu wiederholen. Wenn die Intuition des Therapeuten richtig war, aktiviert diese, in Zeitlupen-Tempo wiederholte, Bewegung das Körpergedächtnis. Die bewusst ausgeführte Bewegung führt den/die Traumatisierte/n schließlich direkt zu jener Situation zurück, in der seine Bewegung erstarrte.

Indem sie Kontakt aufnimmt zu ihrer nonverbalen Körperhaltung, kann Miriam durch die Oberfläche ihrer Grübeleien vordringen bis zur Geschichte, die ihr Körper ihr erzählt, und diese frei erforschen. [So] kann sie in die neuromuskuläre Haltung hineinspüren, die ihrem Konflikt zugrunde liegt […] ‘Ich brauche mehr Raum für mich, so fühlt sich das wirklich an’. Sie wedelt mit den Armen vor ihrem Körper und streckt sie dann zur Seite aus, wie um einen Halbkreis zu ziehen, in dem sie sich frei bewegen kann.”8

Auf diese Weise wird es möglich, Angst und andere heftige negative Affekte von der biologischen Reaktion der Immobilität zu abzuspalten. Diese Abtrennung der Angst von der körperlichen Immobilität durchbricht, so Levine, die Feedbackschleife, die die Trauma-Reaktion immer wieder von Neuem entfacht.

Titrieren

Im ‘Somatic Experiencing‘ geht es jedoch nicht, wie in der kathartischen Methode von Breuer und Freud darum, den Patienten die traumatische Situation in allen Details noch einmal durchleben und verbalisieren zu lassen. Es geht vielmehr um die Fähigkeit, “ein traumatisches Erlebnis noch einmal aufzusuchen, ohne es wieder zu erleben, […] [diese Neuverhandlung] ist für den Prozess der Genesung von […] grundlegender Bedeutung.”9

Deshalb soll der Traumatisierte nur in sehr kleinen Dosen mit den heftigen Energien konfrontiert werden, die durch die traumatische Situation ausgelöst wurden. Diesen behutsamen Prozess nennt Peter Levine ‘Titrieren‘. Der Begriff ‘Titrieren‘ stammt aus der experimentellen Chemie. Er bezeichnet den Vorgang, bei dem zwei Substanzen, die gewöhnlich eine explosionsartige Reaktion hervorrufen würden, Tropfen für Tropfen miteinander gemischt werden, so dass lediglich ein leises Zischen zu hören ist.

Eye Movement Desensitization and Reprocessing

Die Psychologin Francine Shapiro entdeckte 1987 während eines Spaziergangs im Park zufällig, dass schnelle Augenbewegungen die Stimmung positiv verändern. Sie entwickelte daraus die EMDR-Therapie.

EMDR macht etwas im Geist / Gehirn zugänglich, das einen schnellen Zugang zu locker verknüpften Erinnerungen und Bildern aus der Vergangenheit ermöglicht. Dies hilft den Patienten offenbar, ihr traumatisches Erlebnis in einen größeren Zusammenhang zu sehen und es zu relativieren.”10

Durch die schnellen Augenbewegungen entstehen, wie in der REM-Schlafphase, neue Verknüpfungen im Gehirn. Dadurch wird die Integration der traumatischen Erinnerungssplitter möglich. Schließlich werden auch im REM-Schlaf entferntere Assoziationen aktiviert als im Wachzustand.

Die Unfähigkeit, Erlebnisse neu miteinander zu verbinden ist, so Bessel van der Kolk, auch ein hervorstechendes Merkmal der Posttraumatischen Belastungsstörung. Durch die Neuverknüpfung verliert das Trauma seine Unmittelbarkeit und kann schließlich als etwas längst Vergangenes erlebt werden. Die EMDR Methode wirkt bei Patienten, die im Erwachsenenalter traumatisiert wurden sehr viel besser als bei Patienten, die in der Kindheit traumatisiert wurden.

Systemische Therapie

Richard Schwartz entwickelte die ‘Internal Family System Therapy‘ / IFS Systemische Therapie mit der ‘inneren Familie’.

Im Zentrum der IFS steht die Vorstellung, unser Geist gleiche einer Familie, deren Mitglieder verschiedene Grade der Reife, Reizbarkeit und Weisheit sowie des Schmerzes charakterisieren. Diese Anteile bilden zusammen ein Netzwerk oder System, innerhalb dessen Veränderungen in einem bestimmten Anteil sich auf alle anderen Anteile auswirken.”11

Durch Traumatisierungen bricht dieses Selbst-System zusammen, es entstehen Konflikte zwischen verschiedenen Anteilen. So nennt man verleugnete Anteile in der IFS Therapie ‘Verbannte‘. Andere Anteile, die das zusammengebrochene System ‘schützen’ sollen, sind etwa die perfektionistischen Manager-Anteile oder die ‘Feuerbekämpfer’. Letztere treten spontan in Erscheinung, wenn verbannte Emotionen durch ein Ereignis aktiviert werden.

Akzeptanz innerer Erlebnisse

In der ‘Akzeptanz- und Commitment-Therapie‘ / ACT geht es um das Akzeptieren unangenehmer innerer Erlebnisse. Der Patient / die Patientin wird durch Meditations- und Achtsamkeitstechniken dabei unterstützt, schädigendes Kontroll- und Vermeidungsverhalten abzubauen und sich mit grübelnden Gedanken zu des-identifizieren.

Neurofeedback

Eine weitere Therapieform die Traumatisierten helfen kann, ist das ‘Neurofeedback‘. Gehirnstromkurven, die im Gehirn des Patienten durch Elektroden gemessen werden, werden simultan auf einem Bildschirm dargestellt, und können so für ein Feedback-Training genutzt werden. Der Patient sieht dadurch direkt die neuronalen Auswirkungen, die bestimmte Gedanken oder Gefühle im Gehirn haben. Durch diese direkte Rückmeldung des Gehirnstrom-Musters kann er/sie eine bessere Selbstregulation erreichen. EEG-Wellenanteile oder Frequenzbereiche, die für den Patienten vorteilhaft sind, werden bei ihrem Auftreten belohnt.

Gewalterfahrungen

Zur größten Herausforderung wird die gewaltlose Haltung, wenn eine Person durch Gewalterfahrungen traumatisiert wurde. Die/Der Traumatisierte muss dann nicht nur mit dem Trauma selbst fertig werden, sondern auch noch mit der Gewalt, die ihm/ihr angetan wurde. Schließlich beruht nicht jedes Trauma auf einer expliziten Gewalterfahrung.

Traumatisierungen durch Gewalterfahrungen sowie die Affekte und Handlungsmuster, die sie auslösen, werden oft über mehrere Generationen weitergegeben und bewirken, dass die Gewalt kein Ende findet.

Opfer-Dasein

Auch das Gefühl, ein Opfer zu sein, kann an die nächste Generation weitergegeben werden. Deshalb ist es wichtig, eine Haltung zu finden, die diese Kette unterbricht und dem Traumatisierten erlaubt, sein Opfer-Dasein zu beenden.

Menschen können lernen, ihr Verhalten zu beeinflussen und zu verändern; aber sie können es nur dann, wenn sie sich so sicher fühlen, dass sie in der Lage sind, mit neuen Lösungen zu experimentieren. Der Körper vergisst nicht und nichts: wenn Traumata in Form von herzzerreißender Empfindungen zum Ausdruck gelangen, ist unser Ziel zunächst vorrangig, den Betroffenen aus ihrem Kampf- und Fluchtzustand herauszuhelfen, ihre Gefahren-Wahrnehmung zu reorganisieren, und sie in ihrem Umgang mit anderen Menschen zu unterstützen.”12

Wut und Angst

Die größte Schwierigkeit bei der Überwindung von Traumen, die durch Gewalterfahrungen ausgelöst wurden, ist der Kreislauf von Wut und Angst, der Traumatisierte in ihrer panischen Erstarrung gefangen hält. Denn wenn Traumatisierte ihre Immobilität allmählich hinter sich lassen, haben sie häufig Ausbrüche von intensiver Wut.

Weil sie aber fürchten, sie könnten andere (oder sich selbst) tatsächlich verletzen, unternehmen sie große Anstrengungen, um dieses Gefühl abzuwehren und zu unterdrücken, bevor sie es selbst richtig spüren. […] Die Wut kann uns total überwältigen und Panik auslösen. Dabei erstarren diese primitiven Impulse, um sich dann nach innen zu richten, sodass uns der natürliche Ausweg aus dem Zustand der Gelähmtheit verschlossen ist. […] Der Teufelskreis von intensiver Empfindung / Wut / Angst hält eine Person in der Trauma-Reaktion gefangen.”13

Feindbilder

Eine weitere Wirkung von Gewalterfahrungen ist die Angst und der massive Vertrauensverlust, den ein solches Ereignis fast zwangsläufig mit sich bringt.

Durch Gewalt Traumatisierte verlieren entweder ganz den Glauben an die Liebesfähigkeit des Menschen, oder sie teilen die anderen in Freund und Feind ein. In Konflikten führt dies zur Dämonisierung des (vermeintlichen) Gegners.

Wegen der Tendenz zu starker Ich-Bezogenheit, die sich aus ihren biologischen Ursprüngen ergibt, okkupiert Angst oft das ganze Denken, wodurch es schwer ist, an etwas anderes als sich selbst und seine unmittelbare Umgebung zu denken, solange die Angst andauert.14

Dissoziation, Flashback, Reinszenierung

Opfer von Gewalt (vor allem von sexueller Gewalt in der Kindheit) neigen dazu, den Kontakt zu sich selbst zu verlieren. Sie betrachten ihren Körper wie von außen und klinken sich aus dem Geschehen, in das der Körper involviert ist, aus. Dieser an sich sinnvolle psychische Schutz kann jedoch bewirken, dass Traumatisierte die Warnungen ihres Körpers nicht mehr richtig einschätzen können. Die emotionalen Signale werden falsch interpretiert und der Traumatisierte wird so leicht wieder zum Opfer von Gewalt. Ein Flashback der traumatischen Situation kann zu einer Überflutung von Affekten der Angst oder Wut führen. Er kann dadurch wiederum zu einem Auslöser von Gewalt werden.

Flashbacks und Reinszenierungen sind in einem gewissen Sinne schlimmer und schwerer zu ertragen als das Trauma selbst. […] bei Menschen mit PTBS kann jederzeit ein Flashback auftreten, ganz gleich, ob sie gerade wach sind, oder schlafen. Man kann nicht vorhersehen, wann dies wieder passieren wird, oder wie lange so eine Situation dauern wird.”15

Ein Flashback versetzt den Traumatisierten in jenen rasenden Schrecken, den er schon beim Auftauchen aus seiner Immobilität nach dem Trauma erlebt hat. Durch Flashbacks verüben Soldaten schreckliche Kriegsverbrechen an Zivilisten. Oft verlieren sie auch die Kontrolle über ihre Handlungen, wenn sie wieder in ihr ziviles Leben zurückgekehrt sind. Die Mehrzahl der traumatisierten Kriegsveteranen versucht, mit Drogen und Alkohol die traumatischen Eindrücke zu vergessen und mit der Schlaflosigkeit umzugehen.

Außer-Kraft-setzen der Hemmschwelle

Die aggressiven Kontrollverluste der Veteranen werden vielleicht auch durch die psychologisch evozierte Senkung der Tötungshemmung während der Militärausbildung gefördert.

Wurde diese angeborene Hemmschwelle, die die Gewalt in Schach halten soll, durch psychologische Manipulationen oder biochemische Interventionen einmal gesenkt, ist es sehr schwierig, die Dämonen, die gerufen wurden, wieder loszuwerden.

Zwang zur Verschwiegenheit

Bis zum Vietnamkrieg war es den Veteranen nicht möglich, öffentlich über ihre Kriegstraumata, Ängste und Aggressionen zu sprechen. Ihr Leid wurde schlichtweg totgeschwiegen oder als persönliche ‘Schwäche’ ausgelegt.

Durch das Leugnen der Folgen eines Traumas kann das soziale Gefüge einer Gesellschaft sehr geschädigt werden. Die Weigerung, sich mit den durch den [Ersten Welt-]Krieg verursachten Schädigungen auseinanderzusetzen, und Intoleranz gegenüber ‘Schwäche’ spielte in den 1930er Jahren beim Aufstieg des Faschismus und Militarismus in der ganzen Welt eine wichtige Rolle.”16

Die vielfachen Demoralisierungen durch den Krieg und die Enthemmung der Aggression verfolgen Veteranen oft bis an ihr Lebensende. Sie zerstören ihr Leben und das ihrer Familien. Allein im Jahr 2005 haben sich mehr als 6000 US-Veteranen das Leben genommen. Das sind mehr Tote als die US-Armee im Irak-Krieg zu beklagen hatte.

Kriegstraumata

Vielleicht kann (unterstützt durch eine Traumatherapie) gerade die gewaltlose Haltung die Kriegsdämonen der Aggression, Angst und des Selbsthasses wieder bändigen:

Die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung, erklärte [Martin Luther] King, verursachte keine Wutausbrüche, sondern ‘drückte Wut unter Disziplin aus, um maximale Wirkung zu erzielen’. Diese Disziplin zur Bewahrung unserer Wut ist kein Akt der Unterdrückung. Wenn wir es richtig machen, ermöglicht sie es, unsere Wut in eine kreative Kraft umzuwandeln. Gewaltlosigkeit ist die Kraft, die durch die Umwandlung eines negativen Antriebs freigesetzt wird.17

Ein Hinweis auf die positive Wirkung der gewaltlosen Haltung auf traumatisierte Soldaten ist, dass sich viele Veteranen (wie etwa die Vereinigung ‘Irak Veteranen gegen den Krieg‘) in gewaltlosen Bewegungen engagieren.

Gewaltlosigkeit lässt sich vielleicht am besten als eine Praxis des Widerstandes beschreiben, die genau dann möglich, wenn nicht sogar obligatorisch wird, wenn Gewalt am gerechtfertigtsten und offensichtlichsten erscheint. […] Wir können Gewaltlosigkeit also nicht einfach als Abwesenheit von Gewalt […] betrachten, sondern als nachhaltiges Engagement, sogar als eine Möglichkeit, Aggressionen umzuleiten, um Ideale von Gleichheit und Freiheit zu bekräftigen.

Mein erster Vorschlag ist, dass das, was Albert Einstein als ‘militanten Pazifismus‘ bezeichnete, als ‘aggressive Gewaltlosigkeit‘ überdacht werden könnte. Dazu muss das Verhältnis zwischen Aggression und Gewalt überdacht werden, da beide nicht gleich sind.“18

Autorin: Eva Pudill

>> LITERATUR

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